Laura Waddington

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Streifenweise

Von Maya Mckechneay

Die Straßenbahn scheint zu schweben und schiebt sich geräuschlos, in Zeitlupe die schmalen Gassen der Lissabonner Altstadt empor. Die Kamera, die nach draußen blickt, fängt verwischte Impressionen ein: eilige Spaziergänger, einen Straßenkehrer, alte Männer, die in Hauseingängen lehnen. „Manchmal“, sagt die Frauenstimme aus dem Off, „wenn ich Leute beobachte überkommt mich ein Gefühl der Traurigkeit, und ich muss an all die anderen Leben denken, die ich gelebt haben könnte.“

The Lost Days (1999) ist ein fiktives Reisetagebuch der 32-jährigen britischen Videokunstlerin Laura Waddington. Die Bilder, die hier vorbeiziehen, stammen übrigens nicht von ihr, sondern wurden von Freunden und Bekannten der Regisseurin in 15 Städten mit geborgten High-8-Kameras aufgenommen. So wurde The Lost Days zum Spiel mit Blickwinkeln: Die Bilder vieler werden von Waddingtons Montage und dem Off-Kommentar zu einer einzigen Perspektive synthetisiert, die paradoxerweise zugleich hochpersönlich und fiktiv ist: „Ich wünschte, es wäre mir möglich einzufangen, wie es hier wirklich ist. Die klebrige Schwüle, die schlaflosen Nächte, das Halbdunkel der Innenräume. Eine ganze Welt, die von mir keine Notiz nimmt.“

Für ihren neuesten Film Cargo (2001), eine Auftragsarbeit für das Filmfestival Rotterdam, begab sich Waddington dann tatsächlich auf die Reise: Einen Monat fuhr sie auf einem Containerschiff von Venedig in den Nahen Osten und filmte unterwegs die Matrosen, unterbezahlte Rumänen, Polen, Philippiner. Von den 60 Stunden Material, die sie auf diese Weise gesammelt hatte, kompilierte sie schließlich nur die abstraktesten Momente zu einem 29-minütigen Stimmungsbild. Wieder bezieht sich der Off-Kommentar kaum je direkt auf das Gezeigte; stattdessen halten Bild und Wort bewusst Abstand voneinander und bieten so Raum für die Gedankenreisen des Publikums.

Source

Mckechneay, Maya. “Streifenweise.” Falter, Vienna, edition 20/02, May 2002.

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